12. August 2019, 10:38 Uhr
Wer bei einem Spaziergang durch die ostfriesische Stadt Emden auf massive Betonbauwerke stößt, steht meist vor einem der vielen Bunker aus dem 2. Weltkrieg. Aber auch aus viel früherer Zeit sind noch Reste von Bauwerken zu finden. Zum Beispiel am Ems-Jade-Kanal, einem schmalen Schifffahrtsweg, auf dem heute nur noch Sportboote verkehren. Einige hundert Meter außerhalb der historischen Stadtbefestigungen stehen wuchtige Betonpfeiler zu beiden Seiten des Kanalbetts. Wer hat die dort hingebaut, und warum? Für eine Antwort reisen wir mehr als 100 Jahre in die Vergangenheit.
Eigentlich hätte hier eine Drehbrücke für die Umgehungsbahn gebaut werden sollen.
Thomas Feldmann führt unseren Reporter Gerhard Snitjer zu den Pfeilern, die dunkelgrau, mehrere Meter breit und über mannshoch auf den Kanalufern thronen. Feldmann kennt ihre Bedeutung, weil er sich als Anwohner und Amateur-Historiker mit großem Interesse in die örtliche Eisenbahngeschichte hineingearbeitet hat.
Wir sind hier am Ems-Jade-Kanal, an der Stelle, an der die Umgehungs-Bahn den Kanal hätte überqueren sollen. Die Pfeiler sind hier noch vorhanden, alte Eisenbeton-Pfeiler, und aus der Anordnung kann man eigentlich sehr deutlich sehen, dass hier eine Drehbrücke gebaut werden sollte.
Thomas Feldmann
Reportage: Emder Ost-Umgehen von Gerhard Snitjer, [3:45]
Ein Blick auf den aktuellen Stadtplan verrät: Die heutige Bahnlinie aus Richtung Leer kurvt westlich um die Stadt herum und überquert dabei über eine bewegliche Brücke den Binnenhafen – und das ist schon seit gut 130 Jahren so. Genau diese Brücke war zu Beginn der Planung in den 1850er Jahren nicht vorgesehen. "Kurzsichtige Planung" könnte man das nennen. Emdens erster Bahnhof war damals ein Kopfbahnhof, sprich: eine Sackgasse. "Die Königlich-Hannoversche Staatsbahn konnte sich offensichtlich nicht vorstellen, dass man diese Bahn jemals irgendwo anders weiter hätte bauen wollen. Die endete also tatsächlich stumpf vor dem ehemaligen Emder Hafen. Und als sich dann abzeichnete, dass man auch an der Küste entlang eine Eisenbahn bauen wollte, waren die Stellen am gegenüberliegenden Ufer, wo man mit einer Brücke hätte hingemusst, schon bebaut.", erklärt uns Thomas Feldmann im Interview.
Das Gleis für die Küstenbahn nach Norddeich, Esens, Wittmund und Sande wurde also außerhalb des Emder Bahnhofs in die Gegenrichtung abgezweigt, sagt Thomas Feldmann, damit es doch irgendwie an anderer Stelle über den Binnenhafen geführt werden konnte. Ein riesiger Aufwand:
Das bedeutete für den Betrieb, dass jeder Zug, der aus Richtung Leer kam, in den Emder Bahnhof einfuhr. Und die, die weiter in Richtung Norden fahren sollten, mussten praktisch rückwärts aus dem Bahnhof rausrücken in ein Stumpfgleis, um dann wieder vorwärts Richtung Norden fahren zu können. Das ist natürlich ein Mordsaufwand. Thomas Feldmann
Das alles, wohlgemerkt, unter Dampf, mit Heizern und Bremsern und Weichenstellern und ohne Sprechfunk. Völlig absurd wurde es, wenn an der Haltestelle Larrelt im Emder Westen die Seebäderzüge nach Süden in Richtung Außenhafen geleitet werden sollten, zum Borkum-Fähranleger: Da war abermals ein Richtungs- und Lokwechsel fällig. Unzumutbar für Personal und Reisende. Als Lösung sollte eine völlig neue Strecke her – diesmal aus dem Bahnhof heraus und dann östlich um Emden herum. Die Emder Hafenbetriebe freute das: Sie empfanden schon lange die Bahnbrücke über den Binnenhafen als Hindernis für die Schifffahrt. Ebenso Oberbürgermeister Fürbringer, der um 1900 an den Regierungspräsidenten schrieb: "Bevor diese verhängnisvolle Entwicklung nicht beseitigt wird, kann aus dem Emder Handel nichts werden."
Und wirklich begann man die Ost-Umgehung zu planen. Bürgerproteste gegen die Verschandelung des Stadtbildes durch den geplanten, fast drei Kilometer langen Bahndamm gingen im Obrigkeitsstaat schnell unter, und die Fundamente für die notwendigen Brücken wurden um 1910 schon mal gebaut. Was das Projekt dann doch vorläufig stoppte, war der 1. Weltkrieg. Aber erst in den 30er Jahren wurde die Ost-Umgehung endgültig zu den Akten gelegt.
Eine elegantere und günstigere Lösung wurde gefunden: Der ehemalige Haltepunkt Larrelt im Stadtwesten wurde mit einigem Aufwand zum Hauptbahnhof gemacht – ganz alte Emder sagen bis heute "Emden-West" – damit war die zeitraubende Rangiererei endlich überflüssig. Die nutzlosen Brückenfundamente der nie gebauten Ost-Trasse stehen an mehreren Stellen bis heute im Stadtgebiet herum. Aber ebenso wie die Emder ihre Weltkriegs-Bunker in Museen, Kulturzentren oder Penthouse-Fundamente umgenutzt haben, so dienen auch manche Brückenpfeiler, zum Beispiel am Ems-Jade-Kanal, einem neuen Zweck.
Die verwittern so langsam. Dienen gerne mal als Ausflugsziel für die Jugend, da kann man dann nämlich schön sitzen, von den befestigten Plätzen aus gut baden – obwohl das am Kanal auch nicht erlaubt ist – das bietet sich dann einfach an, besser als die unbefestigten Ufer.
Thomas Feldmann
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 12. August 2019, 10:38 Uhr
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