29. November 2019, 18:05 Uhr
Vor 90 Jahren läutete ein "Schwarzer Freitag" Ende Oktober den Beginn der Weltwirtschaftskrise ein. Und er beendete die "Wilden Zwanziger Jahre", die gar nicht überall wild waren. Rebekka Wiese studiert Public History und hat in Bremen über die vergessenen Jahre von 1929-33 geforscht.
Rebekka Wiese
Das Gespräch zum Anhören:
"Mich fasziniert der Blickwinkel von heute" – Rebekka Wiese, [37:24]
Mich fasziniert der Blickwinkel von heute, dass man weiß, 1933 driftet dieses demokratische Projekt, die Weimarer Republik, ab in den Faschismus und gleichzeitig ist es aber vier Jahre vorher noch eine Zeit, die total mit Freiheit experimentiert.
Rebekka Wiese hat sich für das Recherche-Projekt "Babylon Bremen" durch die Archive gewühlt und wollte erfahren, worüber die Menschen damals auf der Straße sprachen, was sie bewegte. Sie fand skurrile Geschichten und solche von großer Tragweite für die Stadt, deren Identität mit dem Meer und der Seefahrt so eng verknüpft ist.
Da ging es um den Löwendompteur, dem beim Gastspiel in Bremen die Löwen umgebracht wurden. Da wird in den Zeitungen die Bevölkerung aufgerufen, sich unbedingt Tickets zu besorgen für die Besichtigung der "Bremen", des schnellsten Dampfers der Welt. Auf das Schiff des Norddeutschen Lloyds waren die Bremer stolz, doch als es die Werft verließ, wurden tausende Menschen entlassen.
Darauf waren die Bremer stolz: Für ihre Jungfernfahrt nach New York im Jahr 1929 benötigt die "Bremen" 4 Tage, 17 Stunden und 42 Minuten.
Erst spielte der "Schwarze Feitag" in Bremen kaum eine Rolle, erst 1931 kam die Rezession bei jedem an. Rebekka Wiese fand im Archiv von Radio Bremen die Grashoff-Chroniken – ein konservativer Bremer Bürger mittleren Alters hatte Zeitungsartikel ausgeschnitten, die ihn interessierten und klebte sie in viele Hefte. Und wie viel Babylon steckte nun in Bremen?
Es war insofern mit Berlin vergleichbar, als Bremen eine sehr linke Stadt war, die Gewerkschaften in Bremen waren sehr groß. Aber was schon anders war: Es gab nicht so eine große, wilde Partyszene wie in Berlin.
Die Fernsehserie "Babylon Berlin" hat die vergessenen Jahre von 1929 bis 1931 wieder populär gemacht. Viele Zuschauer entdecken Gemeinsamkeiten im Lebensgefühl und sehen auch Ähnlichkeiten in den wirtschaftlich schweren und politisch radikalen Zeiten von damals und heute. Rebekka Wiese sieht das differenzierter, gerade aus der Perspektive der Geschichtsstudentin:
Ich würde nicht sagen, dass wir von einer Krise in die nächste trudeln – wir leben ja in einer stabilen Demokratie, die war vielleicht schon mal stabiler, aber ich will das nicht schwarz reden. Was das Berlin von heute mit dem Berlin der Zwanziger Jahre gemeinsam hat? Dass es sehr experimentierfreudig und offen ist.
Durch einen Zufall kam Rebekka Wiese als Komparsin an den Dreh-Set von "Babylon Berlin". Für die dritte Staffel, die im Januar auf "Sky" und im November 2020 in der ARD zu sehen sein wird, spielt sie eine Passantin der gehobenen Klasse, die am Tag des Begräbnisses von Gustav Stresemann auf der Straße ist. Ganz in schwarz gekleidet, mit Taschentuch und Trauerblume in der Hand.
Gespielt ist vielleicht ein bisschen viel gesagt, als Komparsin bin ich eher so etwas wie eine lebendige Requisite.
Auf die authentische Ausstattung der Serie haben die Macher größten Wert gelegt. Eine Freundin und Mitstudentin von Rebekka Wiese arbeitet dort in der Kostümbildnerei. So hatte sie Einblick in die Detailversessenheit, mit der die Kostüme ausgesucht und hergestellt wurden, bis hin zur Nachbildung eines Jackenknopfes für einen Schaffner der Trambahn, der am Ende gar nicht im Film zu sehen ist.
Die Faulenstraße um 1930. Rebekka Wiese hat sich bei ihren Recherchen gefragt: Was hat die Menschen in Bremen zu dieser Zeit bewegt?
Gar nicht authentisch sei dagegen die Musik, die so viele Zuschauer der Serie begeistert hat, sagt Rebekka Wiese. Da schlagen die Komponisten von "Babylon Berlin" die Brücke zwischen damals und heute. Der Soundtrack sei eine Fusion – aber für Rebekka Wiese war die Musik ein Schlüsselmoment. Als sie die berühmte Tanzszene im "Moka Efti" gesehen habe, "da hatte die Serie mich so richtig", erzählt Rebekka Wiese in der Gesprächszeit.
Rebekka Wiese selbst ist Berlinerin und drei Jahre nach der Wende geboren. Aufgewachsen im West-Berliner Stadtteil Friedenau, das sei fast dörflich gewesen, eine Kindheit ohne Sorgen. Erst als Teenager habe sie die Größe der Stadt und den Bauboom erfahren. Inzwischen arbeitet sie als Werkstudentin beim Nachrichtenportal "t-online.de". Für Rebekka ist klar: Sie will Journalistin werden. Schon als Kind habe sie erst Geschichten aufgemalt, dann aufgeschrieben.
Und sie will Geschichte und Journalismus miteinander verbinden – nicht, weil es ohnehin gerade einen Geschichts-Boom in den Medien gibt, sondern weil sie etwas anderes erzählen will als die bekannten "Geschichts-Geschichten", die nicht hinterfragt werden. Und das lernt sie auch in ihrem Master-Studiengang "Public History". Was genau das ist, wie sehr es um unsere Bilder von Geschichte geht und wie wichtig es ist, diese zu vermitteln und wie, das erklärt Rebekka Wiese in der Gesprächszeit auf Bremen Zwei am "Black Friday".
Moderation: Birgit Kolkmann
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 29. November 2019, 18:05 Uhr
Roger M. Buergel, Direktor des Johann Jacobs Museums in Zürich und Ausstellungsmacher
3nach9-Moderator Giovanni di Lorenzo
Info: Gesprächszeit
Ob Promis, Politiker oder Menschen von nebenan: In der Gesprächszeit lernen Sie Menschen kennen. Denn die Interviews sind intensiv, ehrlich und nah.
Sendezeit:
Mo. - Fr., 18:05 - 19 Uhr
Archiv: Gesprächszeit
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