24. Juli 2019, 18:05 Uhr
Einen Neuanfang wagen – wer träumt manchmal nicht davon? Unsere Gäste in der Gesprächszeit in dieser Woche haben es alle gewagt. Yasmin Boeck hat ihre Karriere als Modedesignerin an den Nagel gehängt, um Vögeln in Not zu helfen. Ihre Patienten sind gegen eine Scheibe geflogen, haben falsche Nahrung zu sich genommen oder sind aus dem Nest gefallen. In ihrer Wildvogelstation im Teufelsmoor päppelt sie Finken, Spatzen, Meisen oder Mauersegler auf.
Yasmin Boeck
Mehrere hundert Vögel pro Jahr betreut Boeck auf dem Gelände ihres Hauses im Teufelsmoor. Ihr Ziel? Dass die gefiederten Patienten irgendwann wieder ihre Runden unter freiem Himmel drehen – und das gelingt ihr beim Großteil ihrer Schützlinge.
Der größte Vogel, den Yasmin Boeck derzeit betreut, ist ein ausgewachsener Kranich, der für die Freiheit untauglich wurde, weil er offenbar von Menschen großgezogen und fehlgeprägt wurde. Er fiel anderen Hobby-Ornithologen zunächst auf, weil er mitten auf der Straße stand und nicht zur Seite ging, wenn Autos kamen. Dann irrte er in einem Dorf umher, stand vor Hauseingängen und klopfte mit dem Schnabel an Türen. Bei Yasmin Boeck hat "Grus", wie sie ihn getauft hat, inzwischen fast den Status eines Wachhundes.
Sobald sich Fremde nähern, werden wir gewarnt. Er klingt ein bisschen wie eine wild gewordene Vuvuzela. Jeder, der den Hof betritt, wird verfolgt und der kriegt dann so Macker-Allüren. Er plustert sich auf, zieht den Kopf hoch und springt dann manchmal auf den größten Haufen, den er finden kann.
Yasmin Boeck mit ihrem Schützling "Grus", einem Kranich, der sie auf Schritt und Tritt begleitet.
Die Wildvogelstation ist ein Fulltime-Job für Yasmin Boeck. Bei Tagesanbruch steht sie auf – im Hochsommer um vier Uhr morgens – und dann heißt es füttern, bis die Sonne untergeht.
Wenn ich 50 Meisen hier sitzen habe, hab ich ein Problem, denn das ist eigentlich Dauerfüttern. Und ich komme zu nichts anderem.
Tücher waschen, Trinkgefäße spülen, Futter zubereiten – Yasmin Boeck hat viel zu tun. Dabei klingt so manche Arbeit ganz schön skurril: Mehlwürmer müssen zubereitet werden, andere Insekten müssen eingefroren werden, damit die Beinchen abgelöst werden können.
Da darf man nicht so empfindlich sein. Viele haben das Bild "Das ist 'ne schöne Aufgabe für eine Frau..." – aber das ist Hardcore-Arbeit.
Die Naturverbundenheit spürt Yasmin Boeck ganz tief in ihr. Schon als Kind kam sie in Kontakt mit verwaisten Jungvögeln, die ihr Vater manchmal von Waldspaziergängen mit nach Hause brachte. Ihre jetzige Aufgabe ist etwas für Spezialisten. Selbst Tierärzten fehlen meist die Kenntnisse über Wildvögel, ihre Parasiten und die richtige Ernährung. "Man kann wirklich fürchterliche Katastrophen durch Nicht-Wissen anrichten", so Boeck, die sich im Laufe ihres Lebens viel Expertenwissen angeeignet und zu einer Vogelexpertin entwickelt hat.
Dabei lag ihre Profession jahrelang auf einem ganz anderen Gebiet. Denn Yasmin Boeck ist eigentlich studierte Mode-Designerin. Aufsehen erregte Boeck am Anfang ihrer Modedesignerinnen-Laufbahn mit einer Kollektion, die der Origami-Faltkunst nachempfunden wurde. Eine Hose bestand aus einem einzigen Stück Stoff, das gefaltet wurde. Die Hochschule für Künste in Bremen wurde auf sie aufmerksam, sie stellte aus, bekam eine Künstlerinnen-Förderung – bis Yasmin Boeck merkte, dass sie nicht nur von Kunst, Luft und Liebe leben konnte.
Rabiat kippte Boeck ihre Karriere in eine andere Richtung. Sie begann für verschiedene Unternehmen Berufskleidung zu entwerfen, zum Beispiel für Ölkonzerne wie Aral und BP. Alle wurden von Boeck ausgestattet: Der Manager, der zur Messe fuhr, die Fachkraft in der Werkstatt und die Beschäftigte im Bistro. Entscheidend dabei war das Motto "Weg von der Uniform" hin zu Jeans, Blusen, T-Shirts. Aber auch die Verkaufsseite hat Boeck im Laufe ihres Lebens kennengelernt. Mehrere Jahre hat sie in einer Boutique in der Bremer Böttcherstraße gearbeitet.
Ich war auch für den Einkauf verantwortlich. Das heißt, ich konnte zu Jil Sander und zu Prada und wie sie alle hießen, nach Mailand, Paris und London reisen und konnte mir die Kollektionen wirklich angucken, wie die vom Designer präsentiert wurden und wie sie gedacht sind.
Beeindruckend fand Boeck, wie die Kollektionen in den großen Häusern entstehen und welcher Aufwand betrieben wird, sie zu präsentieren und zu verkaufen. 2011 schrieb sie das Buch "Traumberuf Modedesigner: Der Leitfaden für Studium und Ausbildung" – doch heute würde sie nicht noch einmal Mode studieren.
Ich bin der Ansicht, dass die künstlerische Seite, die mich daran gereizt hat, mehr und mehr verschwunden ist.
Die Welt der Mode hat Boeck irgendwann gelangweilt. Die Sehnsucht nach Tiefgang und Sinn im Leben wurde größer. Stück für Stück hat sich Boeck schließlich aus der eher oberflächlichen Modewelt herausbewegt. Erst machte sie eine Heilpraktikerausbildung, um mehr über den Körper und Homöopathie zu lernen. Später folgte eine Sterbebegleiter-Ausbildung und die ehrenamtliche Arbeit in einem Hospiz.
Wenn ich rückblickend auf meine Mode-Karriere geguckt habe, hab ich gedacht "Ist ja alles schön und gut – schöne Farben, schöne Formen, das ist erfreulich – aber auch nicht mehr als das!"
Yasmin Boeck hat viele Neuanfänge gewagt und ist heute glücklich mit der Aufgabe, die sie in ihrer eigenen Wildvogelstation gefunden hat.
Das Gespräch zum Anhören:
"Wenn ich 50 Meisen habe, hab ich ein Problem" – Wildvogelexpertin Yasmin Boeck, [38:40]
Moderation: Alexander Brauer
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 24. Juli 2019, 18:05 Uhr
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Sendezeit:
Mo. - Fr., 18:05 - 19 Uhr
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