3nach9 Faktencheck: Milchkühe und Milchvieh-Bullenkälber

Kritische Aussagen zum Thema Milchviehhaltung in der 3nach9-Sendung vom 25. November haben besonders Landwirtinnen und Landwirte in Deutschland aufgebracht. Die Redaktion von 3nach9 macht den Faktencheck.

Kühe und Kälber stehen auf einer Weide (Archivbild)
Bild: Imago | Frank Sorge

Wie leben Milchkühe in Deutschland?

Der Milch-Versorgungsgrad liegt in Deutschland deutlich über 100 Prozent. Deutschland ist der größte Milchproduzent in Europa und ein wichtiger Exporteur von Milchprodukten.

In Deutschland gibt es 2022 rund 3,8 Millionen Milchkühe. Der Bestand hat sich seit 1980 nahezu halbiert. Die Milchleistung ist allerdings ständig gestiegen. Eine Milchkuh in der deutschen Landwirtschaft brachte 2021 rund 8.488 Kilogramm Milch pro Jahr. 1950 waren es rund 2.480 Kilogramm.

Deutsche Hochleistungsmilchkühe werden im Durchschnitt nur fünf bis sechs Jahre alt. Dann lässt die Milchleistung nach und sie werden unwirtschaftlich. Rinder können ein natürliches Alter von bis zu 25 Jahren erreichen.

87 Prozent aller Milchkühe werden in Laufställen gehalten. Die Betriebe werden ständig größer. Aber auch die Anbindehaltung, die früher die Regel war, gibt es heute noch in 13 Prozent der Betriebe. Sie ist meist in kleinen Milchbetrieben zu finden, vorwiegend im Süden Deutschlands.

Jede neunte Milchkuh steht angebunden im Stall. Zweidrittel der Tiere bleiben im Laufstall. Ein Drittel der deutschen Milchkühe hat pro Jahr im Schnitt etwa sechs Monate Weidegang. Alternative Haltungsformen (Herdenverband, Muttergebundene Kälberaufzucht, Ammenkuhhaltung) machen lediglich 0,7 Prozent der Milchviehhaltung in Deutschland aus.

Quellen: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)

Muss eine Milchkuh jährlich kalben?

 Ja, denn ohne Kalb gibt eine Kuh keine Milch. Deshalb werden Milchkühe jährlich gedeckt, bzw. besamt. Nach der Geburt des Kalbes steigt die Milchmenge bis zur sechsten Woche stetig an. Sechs bis acht Wochen nach der Geburt werden die Kühe wieder gedeckt.

Während der rund neunmonatigen Schwangerschaft wird die Kuh gemolken, nur in den etwa zwei Monaten vor der nächsten Geburt wird sie "trockengestellt". Das bedeutet, dass der Milchfluss nach einem letzten Melken mit Zitzenversieglern abrupt gestoppt wird.

Es kann zuvor zum Einsatz von Antibiotika kommen. Das soll Entzündungen beseitigen, damit das Eutergewebe regeneriert und in der nächsten Milchphase wieder hohe Milchmengen produziert. 

So geben Kühe bis etwa 305 Tage nach der Geburt Milch. Die höchste Milchleistung erreicht eine Kuh bei der vierten bis sechsten Laktation (Milchphase).

Quelle: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE

Macht die Hochleistungshaltung die Milchkühe krank?

Eutererkrankungen, Klauenerkrankungen und Stoffwechselerkrankungen sind ein großes Thema unter Milchviehhaltern – aber auch unter Tierschützern, die von "Qualzucht" in der Milchviehhaltung sprechen.

Was passiert mit den männlichen Kälbern der Milchkühe?

Die rund 3,8 Millionen Milchkühe in Deutschland bekommen jedes Jahr ein Kalb. Die weiblichen Kälber werden in der Nachzucht eingesetzt. Etwa die Hälfte der neugeborenen Kälber ist jedoch männlich. Diese Bullenkälber gehören zumeist der fleischarmen Rasse der Holstein-Friesen an, deren Mütter auf Hochleistungs-Milchlieferung gezüchtet worden sind. Für die Mast sind diese Kälber deshalb nur bedingt geeignet – und es gibt viel zu viele von ihnen.

Jährlich gehen über 600.000 solcher Bullenkälber in den Export. 2020 lag der Verkaufspreis pro Tier bei 40 bis 50 Euro. Die Aufzuchtkosten (Besamung, Geburt, tierärztliche Kontrolle, 14 Tage Kälberbox) beliefen sich auf durchschnittlich 150 Euro pro Tier. Somit ist das Bullenkalb einer Hochleistungsmilchkuh meistens ein Verlustgeschäft.

Der Großteil der Kälber wird in die Niederlande verkauft, wo sie kostenminimal mit nährstoffreduziertem Futter gemästet werden und als helles Kalbfleisch auf den deutschen Markt zurückkommen. Weitere Kälber werden nach Spanien, Polen, Italien und Belgien verkauft. Eine unbekannte Anzahl dieser Kälber gerät nach der Mast in den internationalen Handel. Der Transport und die Schlachtung erfolgen unkontrolliert. Immer wieder tauchen erschütternde Bilder solcher Transporte auf, zuletzt aus dem Libanon.

Zu den komplexen Folgen der Überproduktion von Bullenkälbern siehe exemplarisch die ausführliche Studie des Landesbetriebs Landwirtschaft Hessen: